Muttertag

Am 13. Mai 1923 gelingt dem Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber ein  brillanter Coup: der erste deutsche Muttertag. Ein Tag, an dem Männer, Söhne und Töchter ihren Müttern dankbar sein sollten. Und weil sie das an all den anderen Tagen so oft vergessen, sollte ihre Dankbarkeit sichtbar werden: in Form von Blumen. Die Idee des Verbands deutscher Blumengeschäftsinhaber ist aufgegangen und aus der ursprünglichen Idee von Ann Maria Reeves Jarvis, der 1865 eine Mütterbewegung vorschwebte, die sich auf organisierten Mothers Day Meetings zu aktuellen Fragen austauschen sollten, ein Tag geblieben, an dem Mütter sich über einen Blumenstrauß freuen dürfen, statt sich über Care-Arbeit, Sexualität, Verhütung und Schwangerschaft auszutauschen.

1933 wird der Muttertag in Deutschland zum öffentlichen Feiertag erklärt und 1934 mit der Einführung des Reichsmütterdienstes in der Reichsfrauenführung erstmals begangen: als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“.  Der Reichsmütterdienst ist nicht mehr, und auch an weitere bevölkerungspolitischen Maßnahmen (Förderung erbgesunden Nachwuchses, Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft, Lebensborn, Zwangssterilisierung) im Interesse des deutschen Volkskörpers erinnert man sich nicht mehr so gerne: „Die natürliche Vollfrau, die ihren Mann liebt, wünscht im Innersten ihres Seins als Ausdruck ihrer Liebe die Empfängnis.“ Die nationalsozialistische Vollfrau ist 2023 nicht mehr salonfähig. Geblieben ist die Feier der Mutterschaft mit dem Blumenstrauß. Ich feiere nicht die Mutterschaft. Ich feiere Mütter, und ich feiere diejenigen, die sich entschieden haben, eine Schwangerschaft nicht auszutragen. Aber vor allem feiere ich Menschen, die sich nicht nur am Muttertag, sondern an allen Tagen des Jahres dafür einsetzen, dass wir selbstbestimmte Entscheidungen darüber treffen können, wie wir mit unserem Körper, unseren Geschlechtsteilen und unserer Fortpflanzungsfähigkeit umgehen. Weil Menschen die selbstbestimmte Entscheidung über den Umgang mit ihren Geschlechtsteilen und Fortpflanzungsorganen zusteht. Männer nehmen sich dieses Recht jeden Tag. Frauen brauchen dazu zwar nicht mehr in jedem Lebensbereich die Erlaubnis. Aber in entscheidenden eben doch.

Denn auch, wenn Ausnahme- und Fristenregelungen das zu verschleiern versuchen: wir leben 2023 in einem Land, in dem Frauen nicht selbstbestimmt darüber entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder beenden wollen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland immer noch illegal. Ungewollt Schwangere in sind verpflichtet, die Schwangerschaft auszutragen. Entscheiden sie sich für eine Abtreibung, begehen sie nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch eine Straftat. Und selbst, wenn es Umstände gibt, unter denen diese Straftat straffrei bleibt, selbst, wenn die verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung freundlich abläuft, so bleibt doch der Rechtfertigungsdruck, das Gefühl, erklären zu müssen, warum ich eine Schwangerschaft nicht austragen möchte. Der erforderliche Beratungsschein, der verschriftlichte Vorwurf, dass eine Gesellschaft vor dem unverantwortlichen Verhalten fortpflanzungsfähiger Frauen geschützt werden muss. Kein Wunder, dass es bequemer ist, einer Frau Blumen zu schenken, statt mit ihr über die Mutterschaft, der sie diese Blumen verdankt, zu sprechen. Noch viel schwerer, über die Mutterschaft zu sprechen, gegen die sich eine Frau entschieden hat. Weil etwas, das zwar möglich, aber offiziell eine Straftat ist, ein fettes Stigma hinter sich herschleppt, ein Schandmal, einen Makel.

Und diese Stigmatisierung, diese Ausgrenzung, betrifft nicht etwa allein diejenigen, die den Abbruch tatsächlich durchführen lassen, wie Laura Olejniczak beim Pro Familia Fachtag „Perspektiven einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ am 6. Mai 2023 in Leipzig ausführt. Als viel wirkmächtiger als das tatsächlich erlebte Stigma erweist sich das antizipierte, das befürchtete Stigma: die Angst vor Nachteilen, Ausgrenzung und Abwertung, die der Eingriff (und sein Bekanntwerden) für eine Frau mit sich bringen könnte. Dasselbe antizipierte Stigma, das Ärzt:innen davon abhält, den Eingriff überhaupt durchzuführen: lediglich 1.200 von deutschlandweit etwa 18.500 Ärzt*innen der Frauenheilkunde und Geburtshilfe führen laut Statistischem Bundesamt überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durch.  Das antizipierte Stigma, das auch Universitäten davon abhält, den Eingriff als Teil der medizinischen Ausbildung zu lehren: „Eine staatliche Universität kann ja schlecht verpflichtet werden, eine Straftat zu unterrichten.“ Kommt dann auch noch eine Gesetzgebung hinzu, die einen ohnehin schon schambesetzten Vorgang auch noch kriminalisiert, verselbständigt sich das Stigma vollends: vom antizipierten Stigma, also der Angst vor zu erwartenden Konsequenzen, wird das internalisierte Stigma. Eines, das in Fleisch und Blut übergegangen ist und gar nicht mehr danach fragt, was eigentlich das Beschämende an einem Vorgang ist. Eines, das einfach da ist. Wenn der Staat es eine Straftat nennt, kann ich mich nicht guten Gewissens dazu bekennen. Für einen Schwangerschaftsabbruch habe ich mich zu schämen. Basta.

Dabei ließe sich ein Schwangerschaftsabbruch durchaus auch als verantwortungsvolle Entscheidung erzählen. Nicht ganz zufällig greift die Beschämung und Stigmatisierung bei Frauen mit DDR-Sozialisation bzw. aus anderen Staaten mit liberalerer Abtreibungsgesetzgebung nicht. Die Voraussetzung für den entstigmatisierten Schwangerschaftsabbruch besteht also eindeutig darin, die selbstbestimmte Entscheidung den Betroffenen zu überlassen, nicht dem Staat. Oder, wie Valentina Chiofalo vom Legal Team der Doctors for Choice Germany aus der Begründung der südkoreanischen Strafrechtsreform zitiert, die 2019 ihr jahrzehntelanges striktes Abtreibungsverbot gekippt hat: „Wir entscheiden uns dazu, Frauen zu vertrauen.“ Weil eine Gesellschaft nämlich nicht vor dem unverantwortlichen Verhalten fortpflanzungsfähiger Frauen geschützt werden muss. Im Jahr 2021 wurden deutschlandweit 94.596 Schwangerschaftsabbrüche erfasst. Im selben Jahr werden 106.700 “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung”, sog. Sexualdelikte (sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch von Kindern, Kinderpornographie) erfasst. Von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. Es ist also statistisch begründet davon auszugehen, dass Männer größere Schwierigkeiten damit haben, verantwortlich mit ihren Geschlechtsorganen und ihrer Fortpflanzungsfähigkeit umzugehen. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, Männer gesetzlich dazu zu verpflichten, sich vor Schwanzeinsatz einer Beratung zu unterziehen. Stattdessen gibt es einen gesetzlichen Feiertag, der die freiwillige Selbstverpflichtung mit sich bringt, Frauen am zweiten Wochenende im Mai Blumen auf den Tisch zu stellen, statt ganzjährig ihr Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen anzuerkennen, einzufordern und mitzutragen.  

Ich bin Mutter. Ich habe drei Schwangerschaften ausgetragen und zwei durch Schwangerschaftsabbrüche beendet. Ich wünsche mir nicht nur Respekt vor meiner Entscheidung, ich fordere das Recht auf diese Entscheidung: die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Ich fordere Respekt vor denen, die Kinder gebären, und vor denen, die sich dazu entscheiden, Kinder nicht zu gebären. Und vor denen, die sie dabei unterstützen. Und solange das keine Selbstverständlichkeit ist, gibt es von mir keine Blumen zum Muttertag. Sondern Papaya.

Was es mit der Papaya auf sich hat?

Mit ihrer gerundeten Form und dem schmaler zulaufenden Strunk ähnelt die Papaya der Gebärmutter und kommt deswegen bei den Workshops der Medical Students for Choice zum Einsatz. Weil die Methoden des Schwangerschaftsabbruchs nur selten Bestandteil des Medizinstudiums sind, üben angehende Mediziner:innen in so genannten „Papaya-Workshops“ einen der häufigsten chirurgischen Eingriffe in der Gynäkologie. „Papayas bieten sich außerdem an, weil sich die Kerne absaugen lassen und ihre Beschaffenheit das gefühlvolle Hantieren bei einem Abbruch nachempfindbar macht“.